Yogaroutine oder Yogaritual? Was genau machst du da?

Fragt man Google, ob Yogastunden ein Ritual sind, kommt man schnell zu dem Schluss – ja! Als Begründung wird die Rahmung durch festgelegten Anfang und festgelegtes Ende genannt, sowie die Orientierung, die die/ der Yogaübende dadurch erlange. Auf einer der ersten Ergebnisse, die mir ausgespielt wurden, folgt nach diesem Schluss eine Aufzählung, inklusive Videos, die die wichtigsten Yogarituale nennen möchte. Ich möchte mich von einer solchen Verallgemeinerung distanzieren, nicht zuletzt, da in dieser beschriebenen Zusammenfassung keine Differenzierung der genannten Informationen stattfindet. Im Folgenden werde ich darstellen warum man nicht pauschal sagen kann, dass eine regelmäßige Yogapraxis ein Ritual ist und wie man Yogarituale von Yogaroutinen unterscheiden kann.

(K)eine Ritualdefinition

Es gibt viele Ritualdefinitionen und so möchte ich hier darauf verzichten eine einzige kultur-/sozialwissenschaftliche Definition zu nennen, da wohl keine Ritualdefinition damit verbindlich wäre. Ich möchte jedoch auf die Ritualtheorie Victor Turners (Anthropologe) hinweisen, denn obwohl diese in die Jahre gekommene Theorie umstritten ist, hat und hatte sie einen starken Einfluss auf weitere, modernere Theorien.

Als ein Charakteristikum des Rituals ist die Prozesshaftigkeit zu nennen. Turners Theorie zu Folge ist die Transformation, das was ein Ritual grundlegend ausmache. Zudem folge sie immer einer festen zeitlichen Struktur und vermittle eine kulturelle Erfahrung (zum Beispiel auch durch Symbole). 1

Im Alltag verwenden wir den Begriff Ritual meist ohne ihn zu hinterfragen oder zu definieren. Auch der Duden formuliert seine Definition sehr vage: “wiederholtes, immer gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung; Zeremoniell”2 Erst als letztes wird die, meines Erachtens, wichtige Formulierung genannt. Zeremoniell.

Was ist ein Ritual?

In einem Artikel des Reportagenmagazines GEOplus wird darauf hingewiesen, dass Rituale dem Alltag Struktur geben und Gemeinschaft herstellen würden. Außerdem wird ein Bezug zu religiösen Handlungen hergestellt, die sich jedoch auch auf die Gemeinschaftsbildung beziehen.3 Auch bei Turners Ritualforschung ging es um Gemeinschaft.4 Damit können wir festhalten, dass ein Ritual zeremoniell, wiederholt, festgelegt, transformierend, gemeinschaftsbildend und damit kulturell relevant zu sein scheint.

Als ich mich während meines Bachelorstudiums intensiver mit dem Thema Rituale befasste, kam die Frage auf, ob denn Zähne putzen auch ein Ritual sei. Immerhin machen wir das immer gleich, regelmäßig und nach einer festgelegten Ordnung. Man könnte sogar sagen, dass es einen festgelegten Anfang und ein festgelegtes Ende gibt, außerdem findet ein Übergang statt (“schmutzig” zu sauber, Abendzeit zu Schlafenszeit). Aber ist Zähneputzen zeremoniell? Hat es einen gesellschaftlich-kulturellen Sinn? Wir entschieden und für nein und zu diesem Schluss kam ich auch jetzt. Wenn du dir heute Abend (nicht) die Zähne putzt, dann hat das auf deine Gemeinschaft oder deinen gesellschaftlichen Status keine Auswirkungen. Es muss also etwas geben, dass dem Ritual sehr ähnlich ist, aber ohne zeremoniell zu sein und ohne gesellschaftliche Auswirkungen.

Die Routine

Auf Instagram habe ich gefragt, ob ein Ritual und eine Routine das Gleiche seien. Die Hälfte sagte nein. Selbstverständlich ist ein Storysticker keine statistische Auswertungsmethode, aber zumindest unter meinen Followern scheint es eine starke Unsicherheit zu geben. Verständlich!

Unter einer Routine verstehen wir meistens eine regelmäßige Handlung, eine Gewohnheit. Auch der Duden definiert Routine ähnlich: “Ausführung einer Tätigkeit, die zur Gewohnheit geworden ist und jedes Engagement vermissen lässt”.5 So negativ würde ich Routinen jedoch nicht sehen, da sie unserem Alltag ein Gerüst geben und dafür sorgen, dass wir gewisse Abläufe mit Sicherheit ausführen. Was ist nun also deine Yogapraxis?

Yogaritual oder Yogaroutine?

Ohne Zweifel gibt es Yogariten. Diese würde ich als Teil derer Kulturen einordnen, für die auch die Yogaphilosophie eine Rolle spielt. In Deutschland – wie im sogenannten Westen üblich – wird Yoga viel auf der Matte praktiziert und sich weniger mit der eigentlichen Philosophie beschäftigt. Dadurch wird Yoga häufig auch eher sportlich unterrichtet. Als Yogalehrerin spreche ich mich ganz klar dafür aus so weit wie möglich alle acht Säulen zu unterrichten, aber aus Sicht der Kulturanthropologie möchte ich vor einen kulturellen Aneignung und/oder Kommodifizierung warnen.

Was tun wir nun also während unserer Yogapraxis? Ich möchte nicht pauschal behaupten, dass niemand deutsches an Ritualen aus Kulturen, die auch die Yogaphilosophie beinhalten, teilnimmt, beziehungsweise diese durchführt. Trotzdem scheint es mir als würden die meisten von uns – inklusive mir – Yogaroutinen verfolgen und keine Yogarituale. Hier nochmal eine Art Checkliste um einzuschätzen was du tust:

Routine

  • alltäglich
  • ohne wirkliche Transformation
  • Gewohnheit
  • wiederholt
  • individuell/ privat
  • eingeschränkt relevant
  • funktioniert ohne Symbolik

Ritual

  • zeremoniell
  • transformierend
  • festgelegt
  • wiederholt
  • gemeinschaftsbildend
  • kulturell und gesellschaftlich relevant
  • Symbole und Ähnliches (materiell und nicht materiell)

Diese Aufzählung gilt als Orientierung und nicht als absolute Auflistung. Natürlich kannst du auch mal das eine und mal das andere machen.

1 Microsoft Word – T Förster on V Turner 2003.docx (unibas.ch)

2 Duden | Ritual | Rechtschreibung, Bedeutung, Definition, Herkunft

3 Rituale – warum sie so wichtig sind – [GEO]

4 Microsoft Word – T Förster on V Turner 2003.docx (unibas.ch)

5Duden | Routine | Rechtschreibung, Bedeutung, Definition, Herkunft

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